Altstadt

Urs Kerker

Urs Kerker ist ein moderner Künstler. Er gibt sich seine Aufträge selbst und lebt ganz anständig davon, dass sie anderen gefallen. Urs Kerker (geb. 1954) ist gelernter Grafiker, doch seine Tätigkeitsbereiche sind vielseitig. Das Lexikon zur Kunst in der Schweiz zählt sie auf: «Aquarell, Druckgrafik, Holzschnitt, Lithografie, Radierung, Grafikdesign, Keramik, Plakat, Kunst am Bau, Glasarbeiten, Tonplastik, Tonrelief, Zeichnung.»
Sein grosses Thema im Corona-Jahr 2020 war das andere, von der Tagesaktualität zeitweise verdrängte grosse Thema: die Klimakrise.
Der Unternehmer Hans-Jörg Hüppi, der zum Sammlerkreis von Kerker gehört, hat seinen Künstlerfreund zu einer Werkgruppe von zwölf grossformatigen Bildern herausgefordert, die vom 26. November bis 20. Dezember 2020 im Technorama ausgestellt werden.

Urs Kerker
Urs Kerker

Interview Karl Lüönd

Karl Lüönd:
«Was kann die Kunst beitragen, damit das Klima in Winterthur besser wird?»

Urs Kerker:
«Ich will nichts verbessern, bloss Möglichkeiten aufzeigen. Wenn diese zu Verbesserungen beitragen, umso besser. Kunst kann Ideen visualisieren, sichtbar und erlebbar machen. Was damit geschieht, muss nicht der Künstler entscheiden. Er macht einfach auf die Möglichkeiten aufmerksam.»

Karl Lüönd:
«Wird diese Kunst denn auch gefragt und nachgefragt?»

Urs Kerker:
«Aus dem geläufigen Kunstbetrieb habe ich mich immer herausgehalten. Sowieso bin ich weniger Künstler als Handwerker. Ich habe mich nie bemüht, in bestimmten Kreisen Fuss zu fassen. Mein Job hat mir ein Leben lang Freiheit gegeben. Ich habe damit nicht nur überlebt, sondern konnte mir einen grossen Kundenkreis aufbauen und kann von meiner Arbeit ganz anständig leben. Ich blieb geerdet, u.a. weil ich Grafiker gelernt hatte und weil schon mein Vater (Walter Kerker) diesen Beruf ausübte. Das Handwerk ist immer die Grundlage geblieben für alles, was ich mir autodidaktisch angeeignet habe. Ich war während zwei Jahren wissenschaftlicher Zeichner, habe in jungen Jahren aber auch unser Einfamilienhaus in Hettlingen eigenhändig umgebaut.»

Karl Lüönd:
«Sie sind Künstler in einer mittelgrossen Stadt, deren Kunstgeschichte geprägt ist von grossbürgerlichen Sammlern, welche die Weltkunst des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts hierher gebracht haben. Welche Rolle kann ausgerechnet hier ein regional verankerter Künstler spielen, dessen Markenzeichen Vielseitigkeit, Vitalität und Überlebenswille sind, der aber nicht entfernt so viel Aufmerksamkeit erwarten kann als die ‹ganz Grossen›?»

Urs Kerker:
«Ich hatte meine Freiheiten, ich wollte und musste nirgends dabei sein, auch nicht bei den meisten öffentlichen Aufträgen. Ich habe nur Einzelkontakte mit der sogenannten Kunstszene. Ich will nicht gross herauskommen und berühmt werden, sondern meinen Frieden haben, Freude an der Arbeit haben und davon leben können.»

Karl Lüönd:
«Sie sind seit bald 50 Jahren eine feste Grösse in der Kunstwelt von Winterthur. Welche Antworten haben Sie auf Ihre inhaltlichen Angebote erhalten? Wer hat wirklich ‹angebissen›: die Jungen, die Frauen, die Studenten…?»

Urs Kerker:
«Primär meine eigene Generation, die sogenannten ‹baby boomers› (ab Jahrgang 1945). Sie spürten die Freude, die aus den Bildern kam und schätzten sie. Ich bin ein positiver Mensch, und das hat den Leuten gefallen. Das Schöne ist doch, wenn einer auch nach zwanzig Jahren noch Bilder von dir kauft, auch wenn er schon alle Wände voll hat davon.»

Karl Lüönd:
«Einer ist offensiv auf Ihr Themenangebot eingetreten: Hans-Jörg Hüppi, ein Unternehmer aus der Bauwelt, zugleich bekannt als Querdenker, Ideenmaschine und ‹bunter Vogel› inmitten einer technisch geprägten Umwelt. Hüppi hat Ihnen eine ‹Vision Winterthur 2050 CO2-frei› abverlangt. Sie haben mit 12 Bildern geantwortet. Was sind die wesentlichsten Punkte Ihrer Antworten?»

Urs Kerker:
«Hüppi hat mich herausgefordert: Mach mal ein Bild vom modernen Winterthur, egal, wenn es verrückt aussieht! Das erste, was ich malte, war der Bahnhofplatz mit der Anspielung auf diesen fürchterlichen Pilz, dafür mit imaginären Hochbahnen. Viele Ideen kommen aus dem Ausland, ich finde sie in Hamburg oder Südfrankreich. Nach dem ersten Bild gefiel es ihm. Ich mache jedes Jahr Kalender für meine Kunden. Hüppi redete immer von einem Buch, ich setzte die Kalender-Idee dagegen. So entstand unser Projekt.»

Karl Lüönd:
«Ihre Bilder sind zugleich realitätsbezogen und schräg bis abgefahren: gegenständlich und visionär zugleich. Über bekannten Winterthurer Fassaden wölbt sich ein Horizont aus Glas, und durch die Luft schiessen Hochbahnen. Wie meinen Sie das: eher als Ideal und Leitbild für morgen (wie es der Initiant und Mäzen wohl am liebsten hätte). Oder als Warnung?»

Urs Kerker:
«Nennen Sie es ruhig Schnapsideen, aber man könnte sie theoretisch ja brauchen. Mit Mass genossen ist ja Schnaps durchaus etwas Gutes. Solche Ideen sollen anregen, über den Horizont hinaus zu denken: etwas grosszügiger, weltoffener. Bei uns wird oft allzu kleinkariert gedacht und entschieden. Ich denke oft an meine Söhne, wenn ich male, gerade bei meinen Winterthurer Sujets kam der Input von ihnen; sie waren lange in Amerika. Das ist eine der guten Funktionen der Kunst. Sie bringt frische Luft in die vertraute Umgebung. Meine Söhne sind in der Musikszene unterwegs, das regt an und gibt eine andere Optik. Dieser andere Blickwinkel ist ein Generalthema meiner Bilder.»

Link zur Website von Urs Kerker: www.urskerker.com